Herbstliebe
von Nicole Vergin
Rot… Es sprang sie beinahe an.
Und obwohl sie ohne Brille nur noch verschwommen sah, erkannte sie ihren Baum. Ihr Lieblingsahorn hatte über Nacht sein Herbstkleid angezogen. Oder vielleicht war es auch gar nicht über Nacht passiert. Nein, wahrscheinlich nicht. Die Zeit verschwamm, seit sie hier in ihrem Pflegebett lag. Tagein, Tagaus.
„Mama?“
Sie drehte den Kopf in Richtung der Stimme. In Zeitlupe. Immer schwerer fiel ihr jede Bewegung. Es war ihr Sohn, der dort an ihrem Bett saß. Wie lange schon? Auch das wusste sie nicht.
„Schau was ich dir aus dem Garten mitgebracht habe.“
Sie fühlte etwas ihre Finger berühren. Glatt und kühl. Behutsam tastete sie danach und erkannte es sofort. Ein Blatt. Er hatte ihr ein Blatt von ihrem Ahorn mit herein gebracht. Ihr Mund versuchte ein „Danke“ zu formen, aber es blieb hinter den Lippen hängen.
Der Sohn streichelte behutsam ihre Wange. Sie wusste, er verstand sie auch wortlos. Aber wie gerne hätte sie so wie früher mit ihm geredet. Über all die kleinen und großen Dinge im Leben. Doch es fehlte ihr die Kraft.
„Den Frühling werden Sie wohl nicht mehr erleben“, hatte ihr Onkologe Anfang des Jahres gesagt. Sie hatte diese Aussage schweigend hingenommen. Woher sollte er wissen, wann es für sie Zeit sein würde zu sterben? Das wusste niemand.
Und so trotzte sie seinen Worten und erlebte einen letzten Frühling und dann noch einen Sommer. Nun war es Herbst. Ihre liebste Jahreszeit. Um nichts in der Welt hätte sie sie verpassen mögen. Natürlich war da noch der Wunsch gewesen, dies nicht nur vom Bett aus zu erleben.
Sie vermisste ihre Herbst Spaziergänge. Wenn sie die Augen schloss, träumte sie sich zurück auf die Felder und Wälder, die sie durchstreift hatte. Sie hörte das Rascheln des Laubs unter ihren Schritten, sah die ersten gelben und roten Blätter zwischen dem Grün. Und sie fühlte die kühle Luft, die in ihre Lungen geströmt war, wenn sie ausgelassen wie ein junges Mädchen über die Stoppelfelder gelaufen war.
Und der Herbst Regen! Die vom Sommer noch warmen Tropfen, die ihr über das Gesicht und die Hände gelaufen waren und die sich dann an Grashalme gehängt und in Spinnennetzen geschaukelt hatten.
Mitten hinein in ihre Herbstträume fühlte sie eine Hand, die ihre Schulter berührte. Unwillig öffnete sie die Augen. Während der folgenden 20 Minuten, in der sie gewaschen wurde und eine neue Windel bekam, versuchte sie immer wieder einen Blick auf ihren Baum zu erhaschen.
Rot… Es sprang sie beinahe an.
Nachsatz
Die Inspiration für diese kleine Geschichte habe ich durch meinen gestrigen Spaziergang erhalten. Durch das was ich gesehen habe und was mir – bzgl. meiner eigenen Vergänglichkeit – durch den Kopf gegangen ist. Nachstehend könnt Ihr Euch die dabei entstandenen Fotos ansehen…
Im Fluss Des Lebens - Altes und Neues wissen
Neu: viele Geschichten auch als HÖRGESCHICHTEN
zwischen Nostalgie und Zuversicht
A German Expat's Life in Fredericksburg/Texas
Meine Urlaubs- und andere Bilder
Alles rund um den Garten, Ausflüge und mehr
Palliative Pflege und Pflegewissenschaft
Bücher sind die Freiheit des Geistes
Hier bloggen die Mitarbeiter*innen des Hospiz Luise für Euch - Herzlich Willkommen
Sabine Schildgen/Autorin
Zwischendurchgedanken
Blog über gesundes Backen und Kochen, vegetarisch.
Gedichte, Geschichten, Ideen und mehr
Eine Familie lebt mit Papas Krabbe
Gedanken, verpackt in Wort und Bild
In der Theorie sind Theorie und Praxis gleich. In der Praxis nicht.
Wir helfen Miranda - einer ausrangierten Hannoveraner Zuchtstute und ihren Freunden.
von Trauer, Tod und Leben!
by Rina.P
Nachdenken, Selbstfindung, positive Energie, Gedichte, Kurzgeschichten, Seelenarbeit
Buntes aus dem Deisterland
….und was dich, als Sterbebegleiterin, beschäftigt.
Schön geschrieben, Nicole.
Gefällt mirGefällt 1 Person
genau so ist es, liebe Nati. Da geistert mir im Moment so einiges im Kopf herum…
Dankeschön! ❤
Hab einen schönen Tag, liebe Grüße
Nicole
Gefällt mirGefällt 1 Person
Danke Nicole.
Hab du auch einen guten Mittwoch.
LG, Nati 🍀
Gefällt mirGefällt 1 Person
Sehr berührend, liebe Nicole,
herzlichst
moni
Gefällt mirGefällt 1 Person
Danke liebe Moni! ❤
Gefällt mirGefällt 1 Person
Danke, liebe Nicole.
Einfach so, ohne alles Weitere.
Du wirst verstehen.
Liebe Grüße
Judith
Gefällt mirGefällt 1 Person
❤ ❤ ❤
Und ganz liebe Grüße an Dich
Nicole
Gefällt mirGefällt mir
So schön geschrieben. Ach, da will man sie einfach nur noch mal einpacken und ihr einen Herbstspaziergang schenken.
Sehr schöne Bilder.
Gefällt mirGefällt 1 Person
Dankeschön! ❤
Genau das ist mir beim Schreiben durch den Kopf gegangen. Wie schön, dass es "erkennbar" ist. Mich beschäftigt im Moment sehr dieses Thema was-dann-nicht-mehr-möglich-ist…
Gefällt mirGefällt 1 Person
Ja – ich glaube das ist wirklich das schlimmste – was man nicht mehr kann. Jetzt belächelt man es noch – „Ach man wird halt älter“ aber irgendwann.
Gefällt mirGefällt 1 Person
So schön und so ergreifend … ich nehme auch immer rote Amberblätter mit zum Grab seines ehem. Besitzers ..
Gefällt mirGefällt 1 Person
Ich danke Dir ❤ … wie schön und berührend…
Gefällt mirGefällt mir
@ Rina: annehmen was ist und loslassen. Das ist die „Kunst“. Egal, ob beim älter werden, in einer Krankheitsphase oder in der letzten Lebenszeit. Und ich erlebe, dass eben jeder Mensch anders reagiert, sich anders verhält, die Situation anders erlebt. Und dann bin ich einfach dankbar für das was ich habe und (noch ?) kann. ❤
Hab einen schönen Tag! 😀
Gefällt mirGefällt mir